Ausgewählter Beitrag

... etwas mehr als 1100 km

... oder die Grausamkeiten des Lebens

... 48 Stunden ... 560 km hin... ein Familienfest ... 560 km zurück ...

Ich mag solche Familienfeste nicht, aber ich mag meine Familie und da man sich eh fast nur noch zu solchen besonderen Anlässen wie runden Geburtstagen oder Beerdigungen trifft, versuche ich wenigstens an solchen Tagen da zu sein ... für mich eine Art von Respekt gegenüber meiner Familie.

Inzwischen sind diese Treffen oft auch die einzigste Möglichkeit mal wieder ein paar Stunden mit meinen beiden Söhnen zu verbringen und jedesmal wieder, wenn es dann Zeit ist, für sie zu gehen, dann zerreisst es mir mein Herz. Auch diesmal war das nicht anders. Der kleine (Eric) ist inzwischen mit seinen 15 Jahren zwei Zentimeter grösser als sein grosser Bruder (Marcus) und beide sind ja schon geraume Zeit grösser als ich .... Marcus hatte seine Freundin mit, ein hübsches und nettes Mädchen, die gut zu ihm passt ...

Das Geburtstags"kind", meine Mutter hatte zu ihrem 60sten geladen und es wurde im engsten Familienkreis und einer kleinen Gruppe von Freunden in einem kleinen Lokal in meinem Heimatort gefeiert. Die Wirtsleute selbst gute Freunde meiner Eltern hatten bereits die 60ger Feier meines Vaters ausgerichtet. Neben den diversen Vorträgen der Freunde kam zur Überraschung für meine Mutter auch der Männerchor des Ortes, in dem mein Vater seit mehr als 40 Jahren singt. Fast eine Stunde sangen sie ihre schönsten Lieder und sichtlich ergriffen, spendeten die Gäste viel Applaus.

Das Essen war wie immer vorzüglich und alle amüsierten sich bis spät in die Nacht, dem Geburtstagskind zu ehren und mit sehr viel Respekt für meine Mutter.

Obwohl das sicher vielen Gästen sehr schwer fiel, denn während die Feier gerade erst begann, legten sich graue Schatten über den Himmel und das Leben spielte verwirren mit unseren Gefühlen. Während der Chor noch sang, wurde erst der Wirt und später auch die Wirtin weggeholt und sichtlich am Boden zerstört, kehrten beide irgendwann wieder an Ihren Platz zurück, um die Feier bis zum Ende zu begleiten und für das Gelingen und die Freude des Geburtstagskindes zu sorgen ...
Ich kann es nicht anders umschreiben, als die Grausamkeiten des Lebens und ich selbst überlegte, ob ich dazu in der Lage gewesen wäre, wie die Wirtsleute zu handeln ... was war passiert ... während die Gäste auf das erfüllte Leben meiner Mutter schauten ... erlischte an einer anderen Stelle zur gleichen Zeit das Leben eines jungen Menschen, der doch noch gar nichts von seinem Leben hatte. Die Enkelin der Wirtsleute verstarb mit knappen 18 Jahren nach einem schweren Autounfall...
Einige der Gäste wussten es inzwischen, doch niemand wollte es meiner Mutter erzählen, auf das sie Ihre Feier geniessen kann. Als ich in die todtraurigen Augen der Wirtin schaute, dachte ich einen Augenblick lang darüber nach, dass man eben irgendwie wissen muss, wohin man gehört in seinem Leben. Die Wirtsleute wären sicher auch viel lieber bei Ihrer Tochter gewesen, um der in dieser schweren Stunde beizustehen, doch der Respekt meiner Mutter gegenüber liess sie bleiben...  

... 48 Stunden ... 560 km hin... ein Familienfest ... 560 km zurück ...

Silvio 15.04.2004, 06.01

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Biggi

Mannomann, Silvio, du hast Recht - das Leben ist manchmal wirklich grausam. Und was die Reaktion der Großeltern und Wirtsleute angeht - ich zolle Ihnen meinen tiefen Respekt vor soviel professionellem Verantwortungsbewusstsein in einer solch grausam schweren Situation.

vom 15.04.2004, 13.46
1. von Ela

Moin lieber Silvio,
es gibt halt Menschen, die setzen ihre Prioritäten anders. Für die Wirdsleute war ihr Job ihr Leben. Ich kann mir das nicht vorstellen, das im Todesfall eines Familienmitgliedes, die Show aufrecht erhalten bleibt.
Ist mir unbegreiflich.
Liebe Grüße an Dich,
Ela

vom 15.04.2004, 09.38